ZARTGRAU

Anno dazumal

Ringelnatz und die Kaffeemühle

Joachim Ringelnatz (1883-1934) bekam von seinem besten Freund anläßlich seiner Heirat eine Kaffeemühle geschenkt. Einfallslos? Ja, wäre da nicht das lehrreiche Sprücherl drauf geschrieben:

„Ich schenke dir zum Ehespiele
als Leitmotiv die Kaffeemühle.
Fest musst du gleich den Schwengel fassen,
Du orgelst eifrig darauf los
und drückst den Schieber in die Dos.“

Vier Stunden hab ich jetzt warten müssen, um das zu posten, denn Mütterchen hat mir verboten derart ausg’schamts Zeug zu schreiben und mich nicht aus den Augen gelassen – bis sie ihr jetzt zugefallen sind und sie ihr wohlverdientes Mittagsschlaferl hält :-)

Die Nacht der Pudelmutter

In der Nacht vor Heilig Drei König kam hier in der Fürstenfelder Gegend vor 50 Jahren noch die Pudelmutter in die Häuser. Nein, mit Hunden hatte dieser Brauch nichts zu tun. Der Name kam daher, dass die Pudelmutter – ein altes, verhutzeltes, gebückt gehendes Weiberl mit tief ins Gesicht gezogenem Kopftuch – von Haus zu Haus ging, die Tür aufgerissen und wortlos aus einem flachen Korb Äpfel, Nüsse und einige Leckereien in den Raum geschmissen hat. Die Gaben sind über den Fußboden „gepudelt“, wie man das Rollen im Volksmund nannte.

Dieser Brauch dürfte aus dem italienischen Raum stammen, in dem ja in der Nacht vom 5. auf den 6. Jänner die Befana ihre Gaben an die Kinder verteilt. Aber nicht nur für uns Kinder war die Pudelmutter ein willkommener Gast. Meine Großmutter war felsenfest davon überzeugt, dass die Hühner im neuen Jahr weniger Eier legen würden, sollte sie einmal ausbleiben. Darum hat sie auch zeitlebens darauf geachtet, dass sich meine Tante an jedem 5. Jänner in ein altes Weiberl verwandelt und recht viele Gaben für uns Kinder hereinpudeln ließ.

Das Christkind im Nussbaum

Die ersten zehn Jahre meines Lebens habe ich mit Eltern und Bruder auf dem Vierkanthof meiner Großeltern verbracht. Mitten im riesigen Innenhof stand ein gewaltiger Walnussbaum. Als meine Mutter noch ein kleines Kind war, hatte Großvater diesen Nussbaum gepflanzt, weil er erst spät im Frühling seine Blätter bekommt aber sie früh im Herbst wieder abwirft und somit der richtige Baum war, der dann Schatten spendet, wenn er wirklich gebraucht wird – im Sommer. Der zusätzliche Nutzen, nämlich Fliegen fernzuhalten und reichlich Früchte für köstliche Mehlspeisen zu liefern, war vor allem für meine Großmutter wichtig, dafür hat sie auch das Wegräumen der großen Laubmassen, die im Herbst anfielen, auf sich genommen.

Für meinen Bruder und mich hatte der Nussbaum eine gänzlich andere Bedeutung – er war unser zentraler Spielplatz. An einem seiner dicken Äste hatte unser Vater eine Schaukel angebracht und auf der anderen Seite, am dicken, knorrigen Stamm, konnten wir auf unserem Sandhaufen spielen. Ja, es war wirklich ein Sandhaufen, keine Sandkiste, wie man sie heute kennt. War der Haufen auseinandergetreten oder hatten wir für unsere kleinen Holzstücke, die einmal Autos, das andere Mal Eisenbahnen waren, ein weitläufiges Straßen- oder Bahnnetz angelegt, hat Mutti den Sand mit einem groben Reisigbesen wieder zusammengekehrt und gut wars.

Kam der Herbst, halfen wir eifrig, die vom Baum gefallenen Nüsse einzusammeln. Großmutter hat die Nüsse dann auf große Backbleche gelegt und über Nacht in die Röhren des gesetzten Herdes in der Küche geschoben, wo sie durch die Restwärme über Nacht sanft getrocknet wurden. Irgendwann, als uns Großmutter für groß genug hielt, durften wir auch beim Öffnen der Nüsse mithelfen. Wir hatten damals keinen Nussknacker, sondern öffneten die Nüsse mit einem kleinen, spitzen Messer, indem wir an der oberen Seite der Nuss mit der Messerspitze in die Naht stachen und die Nuss, durch gleichzeitiges Drehen des Messers, spalteten. Das gelang meist ganz problemlos und wenn nicht, wurde mit einem kleinen Hämmerchen die Schale zerschlagen. Das musste aber ganz vorsichtig geschehen, denn Großmutter legte großen Wert darauf, dass kein unbrauchbarer Nussmatsch entstand, schließlich waren Nüsse etwas Kostbares, aus dem für die Großfamilie zum Weihnachtsfest reichlich Nusspotizen und Nussbusserl gebacken werden sollten.

An irgend einem Abend im Advent des Jahres 1957 ist dann etwas geschehen, was weder mein Bruder noch ich je vergessen werden. Wir hatten beide fleißig geholfen, die Früchte aus den Nusshälften zu kletzeln und sind von Großmutter noch mit einer Tasse heißem Kakao und einem Rahmkekserl aus der weihnachtlichen Keksdose verwöhnt worden. Mit einem Gute-Nachtbusserl drückte sie das kleine Händchen meines Bruders in meines und schickte uns Kinder über den Hof zu unseren Eltern. Kaum hatte Großmutter die Tür hinter sich geschlossen, hörten wir ein leises Rascheln, ein Flügelschlagen, aus dem kahlen Geäst des Nussbaumes. Und ob ihr es wahr haben wollt oder nicht – da saß es, das Christkind. Weißstrahlend, aber viel kleiner, als wir es uns in unseren Kinderträumen vorgestellt hatten, bekleidet mit nichts als einem dünnen, weißen Hemdchen, lächelte es uns an und flog, mit seinen kleinen Ärmchen winkend, wieder in den wintergrauen Himmel.

Geglaubt hat uns niemand, als wir unser Erlebnis ganz aufgeregt erzählt hatten. Mutti, Papa, Großmutter und auch Tante Nanni schmunzelten, flüsterten dann aber hinter vorgehaltener Hand von Eulen, Käutzchen oder Tauben. Nur Großvater blieb fast ganz ernst, obwohl seine Augen spitzbübisch funkelten und meinte, dass es ganz bestimmt nichts Anderes als das Christkindl gewesen sein konnte.

Heute gibt es den großen, alten Nussbaum unserer Kindheit nicht mehr und auch nicht den Vierkanthof. Es gibt nur noch das Häuschen meiner Mutter und das Sommerhäuschen als Teile davon. Die Großeltern sind seit langem tot, wir schon längst keine Kinder mehr und etwa dort, wo früher der Nussbaum stand, steht nun eine vom kletternden Spindelstrauch überwachsene Säule. Aber jedes Jahr zur Weihnachtszeit denken wir daran, dass wir das Christkind gesehen haben, damals vor vielen, vielen Jahren, hoch oben in unserem geliebten Nussbaum.